Folge 16 Selbstständig mit Theater #8 Fäden, Anträge und Effectuation

Diesmal berichte ich davon, wie ich Fäden aufnehme und darüber nachdenke einen wieder loszuwerden. Ich berichte von einem Hoch, das in ein Tief und dann wieder in ein Hoch umgeschlagen ist und stelle euch Effectuation vor. Einen praktischen Forschungszweig aus der Entrepreneurshipforschung vor der für alle da ist die Businessplan und erwartete Ertragsplanungen skeptisch beäugen.
Zum Transkript der Folge einfach runterscrollen.

Selbstständig mit Theater #8 Fäden, Anträge und Effectuation Theater in Dosen

  1. Selbstständig mit Theater #8 Fäden, Anträge und Effectuation
  2. Selbstständig mit Theater #7 Förderanträge
  3. Kulturmanagement Spezial
  4. Selbstständig mit Theater #6 Orgaskill Level 3000
  5. Selbstständig mit Theater #5 Explodiernde Kalender und Verträge

Transkript:

Hallo und Herzlich willkommen zu Theater in Dosen der Podcast. Mein Name ist Charlotte Werner und heute nehme ich euch wieder mit auf meinem Weg in die Selbstständigkeit im Theaterbereich.

Und ich weiß gar nicht so genau wo ich anfangen soll. Ich habe mal wieder so viele Fäden auf einmal in der Hand, das ich aufpassen muss das ich sie nicht verheddere. Das ist gut, weil die meisten Fäden Anfänge sind, bei denen ich noch nicht weiß, ob und wenn ja, wohin sie weitergehen und weil es einen Faden gibt, den ich loswerden will. Denn dieser Faden ist fordernd, stressig, anstrengend… joa und das war es dann auch. Warum ihn also behalten? Erst recht, wenn andere Fäden aufgenommen werden wollen, die nach Arbeit aussehen, die mir Freude bereitet und auf Augenhöhe und kooperativ stattfindet. Einer dieser Fäden ist die Gastspielakquise für ein Kollektiv. Eine Arbeit, mit der ich immer mal am Rande in Berührung gekommen bin und in die ich mich nun tiefer einarbeite. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, dass sich das für mich nach einer guten Arbeit anhört, aber ich rufe mittlerweile ganz gerne fremde Menschen an. Oh ja. Das klingt wirklich seltsam, wenn ich das laut aussprech *lacht* Na ja.
Viele der Fäden die momentan bei mir auftauchen sind eher kulturmanagerialer Natur, Gastspielakquise, Produktionsleitung etc. Das ist schön und bereitet mir ein bisschen Sorgen: Wo bleibt Zeit für meine eigene Kunst? Die muss ich mir nehmen. Deshalb habe ich mich erst gefreut als eine neue Runde des „Auf geht´s“ Stipendium des MKW NRW bekannt gegeben wurde. Dann habe ich geflucht und mich dann wieder gefreut. Jetzt muss ich an Lotta aus der Krachmacherstraße von Astrid Lindgren denken, wo die Kids alle bei Tante Berg nebenan spielen und dabei das totale Chaos anrichten. Beim Abendessen werden die Kids dann vom Vater gefragt ob sich Tante Berg über ihren Besuch gefreut hat und der große Bruder von Lotta antwortet: „Sie hat sich sogar zwei Mal gefreut. Ein Mal als wir gekommen sind und dann noch mal als wir wieder gegangen sind.“ Wie auch immer. Gefreut habe ich mich zunächst über die Ausschreibung des Stipendiums, weil ich dachte: Cool! Ich kann endlich die Audiorallye, die schon lange in meinem Kopf ist in Angriff nehmen. Dann hieß es: Ja, aber man darf das Geld nicht beantragen, wenn man Geld aus Neustart Kultur Programmen bekommt. Und ich so: Öhhh, das weiß ich noch gar nicht, weil… da läuft zwar gerade ein Antrag, aber ich habe keine Ahnung ob der bewilligt werden wird. Also könnte ich nur einen Antrag auf das „Auf geht´s“ Stipendium stellen, in der Hoffnung, dass ein anderer Antrag abgelehnt wird, weil sonst muss ich das Stipendium zurückzahlen und das ja nein. Weil ich Ärger manchmal auch als Katalysator nutze, habe ich dann aus einer Mischung aus Trotz und Wut, das Internet nach Förderungen für die Audiorallye durchforstet und ja, das sieht gut aus. Ehrlich gesagt sogar besser als das „Auf geht´s“ Stipendium, für diesen Fall. Da schmeiße ich mich direkt wieder ins Förderanträge schreiben.

In meiner letzten Folge erzählte ich ja unter anderem, dass ich eine Verlängerung meines Gründerzuschusses beantrage. Die ist bewilligt worden. Voll gut. Noch mal 9 Monate lang 300€ im Monat für Versicherungen bekommen ist super. Vor allem weil die KSK, also die Künstlersozialversicherung, sich jetzt nach ca. fünf Monaten mal auf meinen Antrag auf Beitritt zurück gemeldet hat mit: „Öhh… Aaaalsooo… öööh können sie uns das hier noch mal erklären? Sonst können wir ihren Antrag gar nicht erst anfangen zu bearbeiten.“ *stöhnt*. Also weiter warten, ob ich in die KSK komme oder nicht. So jetzt bin ich abgedriftet, darauf wollte ich gar nicht hinaus. Worauf wollte ich hinaus? … Ach ja. Beim Schreiben des Antrags auf Verlängerung des Gründerzuschuss habe ich mir auch noch mal meinen Businessplan vorgenommen und tja, also, das was da steht mach ich eher nicht so… Es war zwar gut den zu schreiben, um so Dinge rauszufinden wie: Wie viel Geld muss ich verdienen und was bedeutet das für den Stundensatz von mir? Welche Wege und Optionen sehe ich vom Schreibtisch aus? Was tue ich, wenn Sachen nicht klappen, wie ich sie mir vorgestellt habe? Und natürlich: Ohne Businessplan gibt es keinen Gründerzuschuss. Aber rangehen an die Selbstständigkeit gehe ich dann doch irgendwie ganz anders. Ich schaue: Mit wem will ich arbeiten? Wie will ich arbeiten? Welche spannenden Ausschreibungen gibt es momentan? Welche Ideen sind in meinem Kopf und wie und mit wem könnte ich die eventuell umsetzen? Und verändern die sich dabei? Und während ich das so reflektierte sagte mein Kopf: Du bist ja eine waschechte Effectuaterin. Ja, das ist tatsächlich ein Wort. Es beschreibt jemanden der nach Effectuation arbeitet. Das hat jetzt total weitergeholfen, wenn man nicht weiß, was das ist. *Lacht*. Effectuation beschreibt die Handlungsweisen und -prinzipien die Unternehmer:innen anwenden die nicht den klassischen Businessplanweg gehen. Und weil ich das ein superspannendes Thema finde, das meiner Meinung nach echt hilfreich sein kann zu kennen, wenn mensch sich selbstständig macht, erzähle ich hier jetzt einfach kurz ein bisschen darüber.

Effectuation ist, unklar ausgedrückt, ein Zweig der Entrepreneurshipforschung. Als Begründerin gilt Saras Sarasvathi die in den 90er Jahren erfolgreiche Unternehmer:innen zu ihrer Arbeits- und Denkweise befragte. Dabei bemerkte sie Ähnlichkeiten, die alle anwendeten, die aber in der klassischen Managementwelt aus Businessplan und Risikovorhersage und Projektmanagement nicht vorkamen. Seitdem wurde viel geforscht und erprobt auf diesem Gebiet und mittlerweile ist Effectuation mehr als ein Forschungszweig. Es gibt Prinzipien und praktisch anwendbare Tools. Effectuation ist eine erlernbare Handlungsweise für Menschen, die unter Ungewissheit Entscheidungen treffen müssen. Und na ja, Menschen die selbstständig im Kulturbereich arbeiten und sich eventuell dazu auch noch in einer Pandemie befinden, sind ziemlich eindeutig in ungewissen Gewässern unterwegs. Meiner Meinung nach handeln Kulturschaffende schon lange und sehr oft nach Effectuation. Meist nicht bewusst, sondern aus dem Bauch heraus.

Am einfachsten lassen sich die Prinzipien von Effectuation im direkten Vergleich mit dem sogenannten kausal-linearen Vorgehen, also der klassischen Projektplanung im Management und Co., erklären. Dabei möchte ich vorausschicken, dass sie nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten, sondern verschiedene Vorgehensweisen zu verschiedenen Zeiten sinnvoll sind. Aber genug der Vorrede, kommen wir nun zu den vier Prinzipien:

Prinzip 1: In der kausal-linearen Managementwelt gibt es die Zielorientierung. Die kennen wir alle. Wir setzen ein Ziel fest und schauen dann woher bekomme ich Mittel und Wege, um genau dieses Ziel genauso wie ich es mir vorgestellt habe möglichst zielgerade zu erreichen. Im Effectuation wird die Mittelorientierung angewendet. Ich beantworte mir also Fragen wie: Wer bin ich? Was kann ich? Wen kenn ich? Und welche Wege könnte ich damit einschlagen? Dabei entsteht eine Vielzahl an möglichen Zielen, die sich verändern können, wenn die Mittel, die mir zur Verfügung stehen sich verändern. Die Mittelorientierung verdeutlicht mir somit meine Handlungsoptionen, wenn alles ungewiss ist.

Prinzip 2: Wer sich schon mal ein bisschen mit dem Thema Businessplan auseinandergesetzt hat, weiß das hier in die Zukunft gerechnet wird. Also die Antwort auf die Frage: „Wie viel Geld wird wann mit was eingenommen?“ gesucht wird. Das nennt sich erwarteter Ertrag und wird auch in anderen Bereichen der Wirtschaft so angewendet. Im Effectuation wird statt mit einem erwarteten Ertrag mit dem sogenannten leistbaren Verlust gearbeitet, und zwar nicht nur auf der Ebene Geld, sondern auch allen möglichen anderen Ebenen wie zum Beispiel Zeit. Aber von vorne: Stellen wir uns vor wir wollen etwas Neues ausprobieren zum Beispiel hmm mein Gehirn sagt irgendwas mit einem Park für Kinder, partizipativ. Also wir haben eine Projektidee für ein partizipatives Kindertheater in einem Park. Wie das Entstehen soll, wissen wir noch nicht, auch nicht mit wem, woher das Geld kommen soll etc. etc. Statt nun das Projekt zu planen und zu schauen: Wie viel Geld muss ich reinstecken damit das Projekt entsteht und wie viel Geld kann ich damit verdienen? (Also den erwartbaren Ertrag zu berechnen) machen wir mit dem Prinzip des leistbaren Verlusts nun folgendes: Ich überlege mir einen Zeitraum, in dem ich erstmal beginnen möchte, mich damit etwas intensiver zu beschäftigen. Sagen wir mal zwei Monate. Dann stelle ich mir Fragen wie: Wie viel Geld bin ich bereit in den zwei Monaten in das Projekt zu investieren? Wie viel Zeit? Wie viel… was euch auch einfällt. Und bin ich bereit dazu das dieses Geld, diese Zeit, dieses was auch immer keinen Output bringt, weil das Projekt eventuell scheitert. Also wie viel bin ich bereit in den zwei Monaten zu „verlieren“ in Häkchen für mein Kindertheaterprojekt im Park? In den zwei Monaten könnte ich dann zum Beispiel meine Idee ausarbeiten, mit Menschen sprechen die potenziell Kooperationspartner:innen sein könnten, Texte für das Stück schreiben usw. In den zwei Monaten kann ich mich natürlich auch mit anderen Sachen noch beschäftigen, weil ich sagen könnte: In den nächsten zwei Monaten möchte ich pro Woche drei Stunden in dieses Projekt investieren und gucken ob etwas dabei passiert, denn das kann ich mir leisten ohne das es mir ins Geld geht oder ich überhaupt gar keine Freizeit mehr hab. Also: Das ist mein leistbarer Verlust.
Nach den zwei Monaten reflektiere ich dann: Hat sich das Projekt weiterentwickelt? Und: Bereitet mir Freude? Und: Will ich es weiter machen? Wenn ja: Will ich mehr in das Projekt investieren (also kann ich meinen leistbaren Verlust erhöhen?) Oder führe ich es weiter wie bisher? Es kann aber auch sein das ich nach zwei Monaten bemerke: Der leistbare Verlust wird mir zu hoch und ich wende mich lieber etwas anderem zu. Oder investiere erstmal weniger Geld, Zeit etc. hinein.

Das dritte Prinzip ist eines bei dem ich mir sicher bin, dass jede:r Kreative:r es nutzt. Und zwar ist es: Umstände und Zufälle als Chancen nutzen. Während in der kausal-linearen Logik versucht wird den Weg zum Ziel von Umständen und Zufällen abzuschirmen, damit das Ziel so erfüllt werden kann, wie es geplant war, nutzen Effectuator Umstände und Zufälle als Chance. Um bei dem Beispiel mit dem partizipativen Kindertheaterstück im Park zu bleiben: Hmm vielleicht mach ich das wirklich… Wie auch immer. Sagen wir ich habe mich dazu entschieden das das Projekt in einem bestimmten Park in Bochum stattfinden soll. Nun läuft mir aber über den Weg das in Hamburg etwas geplant ist wo mein Projekt gut reinpassen würde. Nutze ich das? Auf jeden Fall. Ein Beispiel, das hierbei oft genannt wird, wenn mensch sich mit Effectuation auseinandersetzt ist das der Post-its. Post-ist kennen wir ja alle. Eigentlich sollten keine Post ist entwickelt werden, als der Kleber der die Post-ist zu diesen lustigen Dingern macht, die man irgendwo drauf kleben und wieder abnehmen kann ohne das Rückstände entstehen sondern es sollte ein Super-Kleber entwickelt werden. Stattdessen. Na ja, wir alle wissen, wie gut man mit dem Kleber von Post-its Dinge zusammenkleben kann und wie gut die dann aneinander haften. Das aus dem nicht funktionierenden Super-Kleber Post-its geworden sind, ist einem weiteren Zufall zu verdanken. Einen Link zu der Geschichte findet ihr in den Shownotes, falls es euch interessiert.

Prinzip 4: Alle Menschen die Projekte oder Unternehmen auf die Beine stellen, gehen Partner:innenschaften ein. In der kausal-linearen Logik wird dafür nach den „richtigen“ in Häkchen Partner:innen gesucht die zum Projekt und dem Ziel passen. Im Effectuation werden erste Partner:innenschaften bereits sondiert, bevor das Projekt, das Ziel feststeht. Mensch geht mit seiner:ihrer Projektidee los und unterhält sich mit potenziellen Partner:innen darüber. Dabei bleibt mensch offen für neue Ideen, die das angedachte Projekt verändern können. So wird das Projekt und Ziel gemeinsam mit potenziellen Partner:innen geformt. Sehr vereinfacht ausgedrückt: Das Projekt muss also zu den Menschen passen und nicht der Mensch zum Projekt.

Jedes Projekt kommt irgendwann an einen Punkt, an dem das Ziel feststeht und gerade darauf hingearbeitet wird. Doch bis es das Projekt überhaupt gibt und das Projekt so weit ist, dass es sich gut auf einer Zielgeraden bewegen kann, sind mir die Prinzipien des Effectuation näher und für mich logischer. Wenn es euch auch so geht, kann ich euch nur empfehlen sich damit ein bisschen auseinanderzusetzen. Einfach mal im Internet nach Suchen oder einen TedTalk auf YouTube dazu anschauen kann ich nur empfehlen. Ich habe euch auch in den Shownotes zwei Websites zu dem Thema verlinkt.

Das war es jetzt erstmal von mir. Ich hoffe ich konnte euch ein wenig inspirieren.

Wenn euch die Folge gefallen hat, dann abonniert gerne meinen Podcast. Wenn ihr Fragen habt, über ein Thema mehr wissen oder Feedback geben wollt dann meldet euch gerne bei mir über einen der folgenden Wege:
Per E-Mail an kontakt@theaterindosen.com
Instagram @momowerner oder
Facebook @ theaterindosen

Und wer mehr über meine Tätigkeiten als Selbstständige erfahren möchte, der besuche doch gerne meine Website https://charlottewerner.org  

Links (unbezahlte Werbung)

Link zur Post-It Story:
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/erfindung-der-post-its-vor-50-jahren-die-klebezettel-helfen-beim-lernen

Über Effectuation:
http://www.effectuation.de/
https://www.effectuation.org/?page_id=207 (english)

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